Cort betritt die Taverne und sieht sich suchend um. Sein Gesicht ist ernst, sein Körper angespannt, er wirkt so gänzlich anders als sonst. Das fröhliche und unbeschwerte Lachen ist aus seinem Gesicht verschwunden und einem Ausdruck gewichen, den man so nicht von ihm kennt. Sein Blick gleitet suchend durch den Schankraum und bleibt an Jasha haften, die angespannt und leicht fahrig in einer der hinteren Ecken der Taverne sitzt.
Per Greif hatte sie ihn um ein persönliches Gespräch gebeten und der Ton der Nachricht ließ ihn vermuten, dass es sich um etwas Ernstes handeln musste. Es konnte nur um den Orden gehen, dem sie beide, als letzte Mitglieder neben dem anscheinend wahnsinnig gewordenen Balduin, angehörten.
Schon seit Wochen stand der Orden in keinem guten Licht und einige Ordensmitglieder waren aus Angst oder Hoffnungslosigkeit, dass sich die Situation wieder bessern könnte, bereits ausgetreten.
Ungeachtet des Ordens-Kodexes hatte Balduin anscheinend wahllos Menschen überfallen, erpresst und ausgeraubt. Und andere Gerüchte gingen sogar noch weiter. Ein normales Leben war für die Ordensmitglieder nicht mehr möglich, geschweige denn, ihre gemeinnützige Arbeit fortzuführen. Sie wurden bedroht und angefeindet, und erfuhren erst nach und nach, warum der Orden so verrufen war und was es damit auf sich hatte. Das Entsetzen war groß über die Schandtaten des Großmeisters, und alle Bemühungen, diesen wieder zur Vernunft zu bringen, schlugen fehl.
„Guten Tag, Jasha“, begrüßt Cort sie höflich. Jashas Kopf fährt hoch und sie sieht Cort aufmerksam an.
„Sei gegrüßt Bruder“, erwidert sie dann leise und deutet auf den Platz ihr gegenüber. „Setzt Euch doch bitte.“
Eine Weile sitzen beide sich stumm gegenüber, bis Jasha das Schweigen endlich bricht. Nach einem Blick links und rechts, um sicherzugehen, dass niemand sie belauscht, sagt sie leise: „Cort, wir müssen etwas unternehmen wegen des Ordens. So kann es nicht weitergehen. Unserer Arbeit können wir nicht mehr richtig nachkommen. Unser Ruf ist mehr als schlecht. Ganz zu schweigen von der Zahl der Mitglieder, die wir noch haben. Lange wird der Orden nicht mehr überleben können, wenn das so weitergeht.“ Eindringlich spricht sie auf ihn ein und ihr Gesicht wirkt dabei ernst und traurig, aber auch entschlossen.
„Das weiß ich. Auch ich überlege schon lange, was zu tun ist. Mich bedrückt dieser Vorfall ebenfalls sehr. Ich verstehe nicht, wie es zu all dem nur kommen konnte. Wie Balduin die Grundsätze des Ordens so mit Füßen treten konnte“. Nachdenklich schüttelt er den Kopf.
Was schlägst du also vor, Schwester? Was können wir beide tun, um diesem Zustand ein Ende zumachen?“
„Nun,...“, Jasha zögert lange, ehe sie weiterspricht, „die einzige Möglichkeit scheint mir zu sein, Balduin als Großmeister abzusetzen, den Orden neu zu strukturieren und mit einer neuen Führung die Arbeit wieder aufzunehmen, die wir zur Zeit nur unter sehr erschwerten Umständen verrichten können.“
Entsetzt blickt Cort sie an und Jasha nickt verständnisvoll.
„Ich weiß, dass dieser Schritt mehr als ungewöhnlich wäre und an eine Revolte grenzt, zumal die Ordensregeln so etwas nicht vorsehen. Aber gerade weil in ihnen so eine außergewöhnliche Situation nicht verzeichnet ist, können wir dies zu unseren Gunsten nutzen, oder vielmehr, zu Gunsten des Ordens und seiner Intention.“ Abwartend blickt sie Cort an.
„An so etwas hatte ich auch schon gedacht“, gesteht er leise. „Jedoch wagte ich nicht, diesen Gedanken auszusprechen. Es wäre ein Frevel am Großmeister. Ein Umsturz in den eigenen Reihen. Wie verzweifelt muss man doch sein, so etwas auch nur in Erwägung zu ziehen.“
Lange verfallen beide in Schweigen, die Köpfe gesenkt, den Blick starr auf einen Punkt gerichtet. Man kann ihnen ansehen, dass sie sich nicht leicht tun, eine Entscheidung zu fällen.
Nach geraumer Zeit sehen sich beide an und nicken gleichzeitig entschlossen. Cort kramt aus seinem Beutel zwei Pergamente und eine Feder sowie Tinte. Sie setzen zwei Briefe auf, einen an Balduin und einen an die Bevölkerung Anduriens.
Der Brief an Balduin beinhaltet eine Entschuldigung und eine ausführliche Begründung, warum Jasha und Cort sich zu diesem Schritt gezwungen sehen. Nach seiner Vollendung überreichen sie ihn Esmiralda, zusammen mit einigen Silbermünzen und der Bitte, ihn Balduin auszuhändigen, sobald er hier erscheinen sollte.
Den Brief an die Bevölkerung hängen sie an der Tafelhütte auf, und man kann folgendes darauf lesen:
An die Bevölkerung Anduriens!
Die verbleibenden Mitglieder des Ordens des Justinianius nehmen mit Bedauern und Bestürzung zur Kenntnis, dass der Großmeister des Ordens, Balduin der I, allem Anschein nach verwirrt und von schwersten Albträumen besessen ist. In diesem Zustand seelischer und geistiger Umnachtung ist er, unserer Ansicht nach, fortan nicht mehr in der Lage, den Orden den Grundsätzen der Menschlichkeit und Nächstenliebe folgend und im Sinne unseres Kodexes, weiterzuleiten.
Daher sehen wir uns gezwungen, um die weitere Existenz des Ordens zu gewährleisten, Balduin den I. von seinem Posten zu entheben und bis auf weiteres den Orden selbst zu führen.
Nach ausführlichen Beratungen über den zukünftigen Weg des Ordens, werden wir diesen neu aufbauen und durch entsprechende Ankündigungen die Bevölkerung daran teilhaben lassen.
Für alle Taten, die Balduin begangen hat, entschuldigen wir uns aufrichtig. Solche Taten waren der Plan eines Einzelnen und niemals im Sinne der Gemeinschaft und des Ordens. Wir verurteilen auf das Schärfste die Verfehlungen, die Balduin begangen hat und distanzieren uns deutlich von ihm und seinen Taten.
Jasha Tin Nevrielle und Cort Farod
Großmeister des Ordens
von Niome
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Erste Reaktion.
Tekranon kommt in die Taverne und ihm fällt sofort der Aushang am schwarzen Brett ins Auge, da auch er einen eigenen anbringen will.
Murmelnd ließt er Cort’s Nachricht und nickt immer wieder zustimmend.
Nachdem er fertig ist beschließt er Cort auf die Umsetzung anzusprechen, und flüstert leise zu sich selbst:
„Das wurde auch höchste Zeit... Für mich und meinen Bruder war es zu spät, doch vielleicht ist es nicht zu spät für den Orden. Ich wünsche es Dir Cort…“
von SirTech